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Kleist - der letzte Akt. Leseprobe

Kleist war kein schöner Mann. Zeit seines Lebens nicht. Und Zeit seines Sterbens. Wie viel von Kleists Gesicht noch übrig war, nach dem Schuss der Schüsse, ist nicht überliefert. Womöglich mehr, als man vermuten mag. Wenn man sich vor Augen führt, dass der Schuss in den Rachen abgefeuert wurde, und sich ausmalt, wie die austretenden Hirnsäfte des Dichters seinen Kopf besudelt und die Hautfetzen über die geborstene Stirn hinabgehangen haben mögen. Nichts von alledem! Der Schuss war relativ mickrig. So mickrig, dass er ihm im Halse stecken blieb. Um der Wahrheit die Ehre zu geben: im Hirn.

Mit der ersten seiner beiden Pistolen schoss Kleist – verabredungsgemäß – zunächst Henriette Vogel durchs Herz. Sein eigener Todesschuss dann wurde von der zweiten Pistole abgefeuert. Geradewegs in den Mund. Doch die Ladung war zu schwach. Das Stückchen Blei vergrub sich in Kleists verknoteten Hirnwindungen. Wie die Obduktion ergab, ist er vermutlich auch nicht an dieser Kugel gestorben, sondern am Pulverdampf qualvoll erstickt.

Merkwürdig. Warum? Warum griff Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist zu der kleinen Waffe. Wenn er sicher gehn wollte, warum nahm er nicht die dritte geladene Pistole, die man am Todesort oberhalb des Kleinen Wannsees fand? Oder soll man sagen: am Tatort?

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