Maultaschen
Die unvermeidlichen Maultaschen firmieren auch unter "Herrgottsbescheißerle", weil sie ihren Inhalt wacker verbergen, auf dass der Herr droben im Himmel nicht sehn möge, dass sich im Nudelteigmantel Fleisch befindet – bekanntlich streng verboten in der Fastenzeit zwischen Fastnacht und Ostern! Wie auch alle mit Fleisch verbundenen Speisen: Milch, Käse, Eier. Sechs Wochen also stand der Speiseplan unterm gestrengen Regiment des Küchenmeisters Schmalhans Vegan. Klar, dass die Fasnet ein wichtiges Ventil darstellte – drei, vier Tage, wo man noch mal aus dem Vollen schöpfen, so richtig fressen und saufen konnte, was das Zeug hielt. Und ebenfalls klar, dass es am andern Ende der Fastenzeit, dass es an Ostern ebenfalls zur Sache ging! Dass man insbesondere in Eiern schwelgte, die dann der Osterhase hartzukochen und anzumalen hatte, damit sie appetitlich anzusehn und woppwopp zu verzehren waren. Immerhin sind die Wochen vor Ostern ja ausgerechnet die Zeit, in der die Hühner – sofern man sie nicht mit Hormonen vollstopft und so auch im Rest des Jahres auf Deibel komm raus zum Produzieren beziehungsweise Reproduzieren verdonnert – die Zeit im Jahr also, in der die Hühner freiwillig wie die Weltmeister Eier legen. Wissen sie doch, dass die Zeichen nie günstiger stehn, die Brut auch durchzubringen, als im April, Mai, Juni.
Und auch klar, dass man sich nach den Wochen zähneknirschender Fleischabstinenz endlich einen dicken Braten mit quappiger Soße gönnte. Schließlich musste ja der in der Fastenzeit runtergehungerte Speck wieder drauf- beziehungsweise reingeschaufelt werden. Wiewohl selbstredend der allergrößte Teil der Bevölkerung – abgesehn von den paar Adligen – keineswegs so wohlbeleibt wie Unsereiner war. Man aß weniger als heutzutage und arbeitete dafür mehr.
In Tübingen – bei seinem nicht unansehnlichen Bürger- und Zünftleranteil – mag der Prozentsatz der Hungerleider bezogen auf die Gesamtbevölkerung geringer gewesen sein. Dafür aber ging die Schere entschieden weiter auseinander als draußen auf dem Land. Wer in der Stadt zu den Ärmsten der Armen gehörte, hungerte. Hungerte ganzjährig.
Hölderlin nicht. Ganz sicher nicht. Seine Mutter kam für ihren Sohn auf und zahlte den Zimmers die Unkosten für Kost und Logis entsprechend der vierteljährlich vorgelegten Rechnungen, die immer auch mit einem aktuellen Bericht über Hölderlins Befinden verbunden waren. Und nach dem Tod der Mutter (1828) stand eine entsprechende Erbschaft zur Verfügung. So darf als historisch verbrieft gelten, dass Hölderlin in seinen Turmjahren trotz marginaler Einkünfte aus seinen Veröffentlichungen nicht Hungers gelitten hat, sondern stets mit solider schwäbischer Kost versorgt war.
Mit den genannten Maultaschen zum Beispiel, den schwäbischen Ravioli sozusagen, die in ihrer Teighülle meist eine Füllung aus Fleisch und Spinat verbergen.
Zunächst die Zutaten für den Nudelteig (auf 4 hungrige Mäuler ausgelegt):
180 g | Mehl | |
120 g | Hartweizengrieß | |
3 | mittelgroße Eier | |
3 TL | Olivenöl | |
1 EL | lauwarmes Wasser |
Diese ganze Herrlichkeit wird in eine Schüssel gegeben und mit den Knethaken (zu Hölderlins Zeiten freilich mit den Fingern) durchaus ausgiebig, jedenfalls so lange geknetet, bis aus dem Teig ein Kloß geworden ist. Diesen muss man dann noch ein Ründchen mit den Händen kneten, bis er glatt und geschmeidig ist. Gegen fortgesetzte Klebrigkeit ist mit weiteren, kleinen Mehlzugaben anzugehen. Dann wickelt man den Teigkloß in Frischhaltefolie und lässt ihn 30 Minuten lang in Ruhe.
Danach teilt man ihn in Portionen auf (viertelt ihn in unserm Fall also), knöpft sich eine dieser Portionen vor und schließt um den Rest die Folie wieder, damit er nicht austrocknet. Während man nun das erste Teigviertele zu einem Quadrat formt und durch die Nudelmaschine orgelt. Dabei fängt man mit der breitesten Stufe an und walzt den Teig stufenweise immer dünner aus. Damit die Sache nicht doch noch ug'mein oag'nem verquast und verklebt, müssen Teig und Walze immer wieder mit Mehl bestäubt werden. Wenn's ganz hart beziehungsweise feucht kommt, kann man den Teig auch mit etwas zusätzlichem Grieß abbinden.
Und sollte man zu den armen Zeitgenossen zählen, die nicht über eine Nudelmaschine verfügen – soll's ja geben –, muss man den Teig mit dem klassischen Nudelholz bis zur gewünschten Teigdicke oder -dünne ausrollen. Noblere Teigwalzen sind ja mit innenliegenden Kugellagern ausgestattet, so dass man richtig Druck geben kann. Verfügt man auch darüber nicht, sondern nur über Omis einfaches Rundholz, muss man eben mehrfach zu Werke schreiten. Jedenfalls sollte die Sache nicht zu dick ausfallen, damit man nachher vor lauter Teig auch von der Füllung noch was schmeckt.
Sodann schneidet man zwei ungefähr 25 cm breite, und 60, 70 cm lange Teigbahnen zurecht und legt sie nebeneinander auf eine bemehlte Arbeitsfläche, auf dass diese sich dort wiederum ein Weilchen ausruhn können – in freudiger Erwartung der Füllung, der man sich nun widmet. (Man munkelt, dass einige Eingeborene des Schwabenlandes auch genau andersrum vorgehn, zunächst also die Füllung und danach den Teig herstellen. Geht auch.)
Zutaten für die Füllung:
400 g | Hackfleisch halb und halb | |
250 g | Kalbsbrät (fein gewolftes oder gekuttertes Kalbshackfleisch, so fein, dass es sich als Füllung für eine Bratwurst eignen würde) | |
300 g | frischer Spinat (weniger traditionsbewusste, eher pragmatisch ausgerichtete KüchenmeisterInnen bedienen sich 250 g Tiefkühlspinats) | |
1 Bund | Petersilie, feingehackt (etwas davon fürs Servieren zur Seite stellen) | |
2 | feingeschnittene Lauchzwiebeln | |
1 | feingehackte Zwiebel | |
1 | ausgepresste oder fein gewürfelte Knoblauchzehe (muss nicht, kann aber, je nach Geschmack) | |
1 ½ | Brötchen vom Vortag | |
2 EL | Paniermehl | |
1 | Ei, und zusätzlich | |
1 | Eigelb | |
Muskat, Pfeffer, Salz, Fondor – ganz nach Gusto | ||
Salzwasser oder – besser – Fleischbrühe |
Der Spinat wird gründlich gewaschen und weichgekocht (der Tiefkühlspinat entsprechend den Angaben der Packungsbeilage verzehrfertig erhitzt), während man die Brötchen schon mal in kleine Stücke schneidet, in heißem Wasser einweicht und gut ausdrückt. Parallel erhitzt man die Butter, um darin die Zwiebel- und Knoblauchwürfel glasig zu dünsten. Dann gibt man den Blattspinat hinzu und lässt ihn in sich zusammenfallen, drückt ihn anschließend aus und hackt ihn fein. Sodann werden alle Zutaten in einer hinreichend großen Schüssel zu einer homogenen Masse verarbeitet, kräftig gewürzt und vermengt – gut vermengt, damit nicht das eine Herrgottsbescheißerle nach Spinat, das andere nach Petersilienkalb schmeckt.
Jetzt setzt man das Salzwasser oder die kräftige Fleischbrühe in einem großen Topf auf und wendet sich währenddessen den ausgerollten Nudelteigstreifen zu: Die Füllung wird als breiter Strang längs auf die Mitte der Teigbahn gegeben und anschließend mit einem Löffel glatt gestrichen. Wobei man an den Längsseiten tunlichst jeweils zwei bis drei Zentimeter Rand lässt, den man dünn mit verquirltem Eigelb (quasi als Leim) bestreicht. Jetzt wird die Teigbahn von der Längsseite her eingeschlagen, einmal bis knapp zur Mitte, und dann von der anderen Seite erneut bis etwas über den oberen Rand hinaus, so dass sich die beiden Streifen in der Mitte überlappen. Die gefüllten Teigbahnen sollten jetzt tunlichst eine Breite von ungefähr zehn Zentimetern haben. Dann an der "Nahtstelle" erst leicht andrücken, damit die Luft entweicht, dann fester andrücken, damit der Teigmantel zusammenhält, die anschließende Aufteilungs- und Kochprozedur unbeschadet überdauert und der Herrgott nicht doch rauskriegt, was für eine schmackhafte Fracht enthalten ist.
Den gefüllten "Teigschlauch" drückt man jetzt in zehn Zentimeter Abständen an den späteren Schnittstellen mit einem Kochlöffelstiel ein, damit sich die Füllung gut verteilt und dazwischen Teig auf Teig zu liegen kommt. Dann wird der bauchige Teigschlauch in den "Tälern" mit einem leicht schräg angesetzten scharfen Messer oder besser mit einem gewellten Teigrädchen auseinandergeschnitten. Pro Nase braucht er etwa fünf bis sechs – für schwäbische Großesser auch sieben Maultaschen. Wer's lieber nicht ganz so großmäulig hat, sieht zu, dass die Breite der Teigbahnen nur halb so breit ist und der gefüllte und miteinander verschränkte Teigmantel nicht mehr als vier Zentimeter. Entsprechend werden dann auch die Schnitte alle vier Zentimeter angesetzt, und die Maultaschen fallen in eher mundgerechten Dimensionen aus.
Die Maultaschen – seien sie nun klein oder groß – werden jetzt in der Fleischbrühe gar gezogen. Dazu sollte die Brühe leicht sieden, bevor man die Maultaschen vorsichtig hineingibt und wartet, bis sie an der Oberfläche schwimmen. Was nach etwa zehn Minuten der Fall sein wird, woraufhin man sie mit der restlichen Petersilie bestreut und serviert.
Der gemeine Schwabe und die gemeine Schwäbin nicht minder genießen ihre Maultaschen gern mit einer Zwiebelschmelze, für die man Zwiebelstreifen in Butter anschwitzt, bis sie gülden sind. Für Leute mit eher rustikalem Geschmack kann man die Chose auch mit Speckwürfelchen anreichern. Anschließend wird sie jedenfalls auf die fertigen Maultaschen gegeben.
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