Romanwerkstatt

Die Leiden der jungen Weiber. Fragen an Ulrich Land

Annette Rieger vom 8 grad verlag interviewt Ulrich Land zu seinem neuen Roman.

AR: Was will uns Ihre Geschichte von den "Leiden der jungen Weiber" sagen?

UL: Dass nicht alles Gold ist, was da glänzt. Goethe war eben nicht nur ein Held der deutschen Literaturgeschichte, sondern auch ein Frauenheld. Keineswegs immer zum Wohle der betroffenen Frauen. Goethes Spezialität scheint es gewesen zu sein, sich aus dem Staub zu machen, vor allem dann, wenn's ernst wurde oder gar knifflig. Mit Vorliebe ließ er die über alles geliebten Frauen im Regen stehen. Natürlich war und ist Goethe alles andere als ein Einzelfall, auch über die Grenzen seiner Epoche hinweg. Aber dieses Buch will eben nicht relativieren, hat sich stattdessen zur Aufgabe gemacht, den Frauen eine Stimme zu verleihen. Nicht im Sinne einer verrutschten Historisierung der Me-too-Debatte, sondern im zeitgeschichtlichen Kontext.

Die Frauen, denen für gewöhnlich – zumal Ende des 18. Jahrhunderts – nicht viel anderes übrig blieb, als das jeweilige Drama, allenfalls leise protestierend, zu erdulden und zu ertragen, schon wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit, diese "leidenden Weiber" werden hier also aktiv. Ihre miesen Erfahrungen mit den Herrn der Schöpfung tragen sie zusammen, werfen alles auf einen Haufen und basteln einen Sündenbock draus, den sie Goethe taufen und der sich als Dichter durchzuschlagen hat. So also erblickt der Großmeister das dubiose Licht der Welt. Dass nun die Probleme natürlich erst losgehen, wird den Frauen erst Zug um Zug klar (und mir als Autor ging es durchaus ähnlich): Wo will man die Werke herbekommen? Wo die Verleger? Wer soll Goethe in der Öffentlichkeit mimen? Wie weit werden die Frauen als mehr oder weniger zufällig zusammengewürfelte Verschwörungscrew am selben Strang ziehen? Wird ihr tönernes Gebäude überdauern, wenn Konflikte untereinander aufbrechen? Vor allem aber: Wie umgehen mit der bahnbrechenden Erfolgslawine, die sie da losgetreten haben?

So wird also augenzwinkernd und, ich hoffe, auch spannend aus dem Innenleben einer verrückten Verschwörung berichtet – vor dem Hintergrund des 18./19. Jahrhunderts. Und der immer wieder aus dem Nichts auftauchende und dazwischenfunkende Satan Kerl schlägt die wacklige Brücke ins Hier und Jetzt.

AR: Erfahre ich durch Ihr Buch auch etwas Neues über Goethe und seine Geschichte?

UL: Die kenntnisreiche Literaturwissenschaftlerin, der ausgefuchste Germanist werden womöglich vorwiegend auf Details und Zusammenhänge in Sachen Goethe stoßen, die sie und er schon kennen. Für Normalsterbliche wie mich selbst dürften zumindest einzelne Aspekte aus Goethes Leben und seinen Werken, die hier und da in Kurzzitaten aufblitzen, neu sein. In und zwischen den Zeilen, also eher unter der Hand tauchen immer wieder Verkettungen und Einzelheiten auf, die historisch überliefert sind. Mag sein, dass jedoch etliche aus der geneigten Leserschaft (mit Ausnahme der oben genannten Expertenschar) nicht auf Anhieb wissen, welche das sind. Man kann Dichtung und Wahrheit nicht immer auseinanderhalten. Und ich hoffe, dass man es im Zuge der Lektüre irgendwann auch nicht mehr will. Dass man sich, ohne es recht zu merken, längst drauf eingelassen hat, dass dieses Buch eben keine Biographie ist, sondern ein Roman.

Ein Roman, der sich im Übrigen auch mehr den Frauen verpflichtet fühlt als Goethe. Dieser ist ihre, sagen wir: Ziehfigur; sie aber sind es, die hier im Mittelpunkt stehen. So erfährt man beispielsweise so einiges aus dem hochproblematischen Schicksal, das Christiane von Goethe geb. Vulpius erleiden musste. Was heißt hier 'Schicksal'. Goethe selbst muss sich streckenweise ziemlich schofel ihr gegenüber verhalten haben. Als sich ihr Gesundheitszustand mehr und mehr verschlechterte, sie einen Schlaganfall und akutes Nierenversagen erlitt und starke Schmerzen sie quälten, verkrümelte sich Goethe – er hatte zu tun. Selbst, als sich klar abzeichnete, dass sie bald sterben würde, glänzte ihr Goethegatte durch Abwesenheit. Weder an ihrem Sterbebett noch bei der Beisetzung wurde er gesehen.

Insofern erfährt man doch etwas über Goethe …

AR: Was hat Ihnen selbst bei diesem Buch am meisten Freude gemacht?

UL: Genau dieses Verwursten von historisch-biografischen Fakten und aus dem Hut gezauberten Erzählsträngen und Dialogen, dieses Entwerfen und Vernetzen von Irrungen und Wirrungen innerhalb und außerhalb der "Weiber"-Verschwörung. Macht schon Bock, derart krude Spinnweben zurecht zu häkeln! So gehören zu meinen Lieblingskapiteln die, die sich um das allmähliche Verflechten und Festzurren der Frauenverschwörung in einer Liebeslaube am Waldrand ranken. Oder der schräge Trip von zweien dieser "leidenden Weiber" zu den pestilenzartig stinkenden Gärbottichen eines Gerbers. Und natürlich die Episode, wo Goethe oder der, den man dafür hält, im Labyrinth eines Schlossgartens unterzugehen droht.

Strange Story trifft auf Zeitgeschichte trifft auf menschlich allzu menschliche Figuren. Meine große Leidenschaft des munteren, aber nicht bodenlosen Fabulierens konnte ich hier voll ausleben und auskosten. Das hat richtig richtig Spaß gemacht.

AR: Wie kommt es, dass Sie so gerne vor Publikum auftreten?

UL: Als Radiomacher, der ich seit beinahe 40 Jahren bin, trifft man ja extrem selten auf sein Publikum. In Radiokreisen spricht man von dünn gesäter "Feindberührung". Auch die in meinen Anfangsjahren noch durchaus häufige Hörer*innenpost ist leider extrem selten geworden. Mitunter erreicht einen noch eine Email; und dann ist es zumeist die aufgeregte Beschwerde irgendeines Insiders, der mir vorhält, dass ich diesen und jenen Aspekt sträflich vernachlässigt habe. Ganz selten erlebt man mal so Lichtblicke, wo jemand sagt: "Hey, hab dich im Radio gehört. Kann das sein?" Ja, das kann sein.

Also bin ich umso glücklicher, wenn ich bei Lesungen auf ein neugieriges Publikum treffe. Wenn ich diesen livehaftigen Zuhörer*innen meine wüst ausgedachten und erdichteten, meine erlogenen Zeilen inklusive ihrer Zwischenräume ins geneigte Ohr schütten kann. Als Radiomacher erntet man keinen Applaus. Darüber hinaus haben wir Lands einen gewissen Hang zur Schauspielerei: Meine Eltern standen mit einer Laientruppe regelmäßig auf der Bühne, und meine Tochter Nelly hat ihre Begeisterung zum Beruf gemacht und ist Schauspielerin geworden. Sehr zum Wohlgefallen des Vaters.

Ich habe ein einziges Mal miese, oder sagen wir: erstaunliche Erfahrungen bei einer Lesung gemacht. Als ich mich nämlich dazu verstiegen hab, hierzulande meine Eindrücke zu schildern, die mich bei der Begegnung mit Kutteln ansprangen. Es war noch nicht mal eine derbdeftige Kritik, es war eine – zugegeben ausgiebige, genüssliche Schilderung meiner Sinneseindrücke. Das brachte Leute aus dem Publikum direkten Wegs auf die Palme! Leute, die ich kenne und wegen ihrer Geistesgegenwart für gewöhnlich sehr schätze, die sich jetzt aber bitterlich beschwerten, angesichts meiner kulinarischen "Arroganz", meiner "unsäglichen Abschätzigkeit". Wie könne ich mich unterstehen, als gebürtiger Kölner! Aber das war eine andere Geschichte, ein anderes Buch, nicht "das Goethe-Komplott".

AR: Welches Publikum sprechen Sie in der Regel an – und wie lässt sich dieses am besten erreichen?

UL: Am liebsten sind mir natürlich alle! Aber um der Wahrheit die Ehre zu geben, sind es doch meistens Leute, die die Namen der alten Meister und Dichter und Denker schon mal irgendwie irgendwo gehört haben. Meist in der Schule, wo die alten Verseschmiede offenbar einen gewissen Mundgeruch mitbrachten, jedenfalls nicht in bester Erinnerung sind. Und da ist es mir umso mehr ein Anliegen, meine Leidenschaft für die alte Dichtung und ihre Figuren ausstrahlen, die Funken vielleicht sogar überspringen zu lassen. Zumindest kann man da herauslesen, dass wir Heutigen mit unserem ganzen Murks nicht allein auf der Welt sind und waren, dass vieles von dem, was wir erleben und erleiden, dass kein Mist und Zeugs als Alleinstellungsmerkmal gelten kann. Alles schon mal dagewesen. Auch wenn ich natürlich durch die Brille eines Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts sehe und schreibe, selbst wenn ich mich in alten Zeiten bewege. So hat dieses Ansinnen etwas Tautologisches: Ich schreibe aus meiner Sicht bestimmte emotionale und gedankliche Verrenkungen in eine andere Zeit, damit wir, die wir die Gegenwart bevölkern, daran erkennen können, dass uns genau diese Verrenkungen aus genau diesen anderen Zeiten anwehen.

Also: Ein interessiertes, ein für neue und für alte Zeilen und Zeiten offenes, ein vielleicht sogar klassikergeschädigtes Publikum ist mir das liebste. Eines, das Spaß daran hat, die Gedanken hin und wieder um die Ecke denken zu lassen, merkwürdige Windungen einer Geschichte mitzugehen.

Ein Publikum, das also durchaus auch die altgestandenen Medien, das Funk und Fernsehn, Zeitungen und Zeitschriften frequentiert, das – ganz alte Schule – noch über Plakate und Flyer anzusprechen ist. Das aber, ähnlich wie ich, auch die Fühler in die neuen Medien ausstreckt und guckt, was da so los ist.

von Ulrich Land (Kommentare: 0)

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